2022: Der Geruch von frischgebackenem Brot zieht durch das Haus. Soeben habe ich den knusprigen Laib aus dem Ofen geholt. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen. In mir wird die Vorfreude auf eine dicke, mit Butter bestrichene Scheibe Brot geradezu übermächtig.
Brot ist ein überaus hohes Gut. Ein prall gefüllter Brotkasten signalisiert uns, dass wir keinen Hunger leiden müssen. Kein anderes Nahrungsmittel verfügt über den gleichen Stellenwert wie unser tägliches Brot und ist gleichzeitig ein Synonym für alle Lebensmittel.
Da Brot anscheinend in unseren Breiten unbegrenzt verfügbar ist, haben sich viele Menschen daran gewöhnt, nur noch frisches Brot zu essen. Die Laibe vom Vortag entsorgen sie ohne jeden Skrupel in der Mülltonne.
Szenenwechsel:
1959: Ich habe meiner Mutter das «Knörzchen» vom frischen Brot abgeschwatzt. Glücklich sitze ich am Küchentisch und genieße in vollen Zügen die noch warme Kruste.
Versonnen schaut sie mir beim Kauen zu. «Deine Großeltern hatten damals in der schlechten Zeit, für den ganzen Tag nur ein Stück Brot zur Verfügung. Es war nur unwesentlich größer, als das bisschen, dass du gerade in deinen Händen hältst. Einmal haben sie das Wenige mit einem Bettler, der an ihre Türe klopfte, geteilt. Hatte ich dir diese Geschichte schon einmal erzählt»?
Ich starre sie mit offenem Mund an. Halte das «Knörzchen» in die Höhe und frage ungläubig. «So ein kleines Stückchen. Für 2 Erwachsene und für einen ganzen Tag»? «Ganz genau» bestätigt sie meine Frage, «aber du hast noch den Bettler bei deiner Aufzählung vergessen».
In meinen Bauch bildet sich ein dicker Knoten.
Szenenwechsel:
1965: Mit mir am Küchentisch sitzen meine Eltern, meine Brüder, deren Freunde und meine Freundin. Ein alltägliches Ritual. Mutti stellt das Dreipfundbrot aufrecht in die Höhe. Sie segnet den Laib mit dem Kreuzzeichen und versorgt jeden mit einer dicken Scheibe Brot. Nach einer halben Stunde sind alle satt. Und doch ist noch so viel von dem guten Brot vorhanden, dass es auch für das Abendbrot, das Frühstück und für die morgigen Schulbrote reicht. Niemand in unserer Familie wird hungrig zu Bett gehen müssen.
Meine Freundin flüstert mir zu: «Bei Euch gibt es täglich frisches Brot. Ich muss immer das Brot vom Vortag kaufen. Das ist billiger und sättigt auch mehr, sagt meine Mutter».
Szenenwechsel:
2022: Ich verfolge mehr oder weniger unfreiwillig ein Gespräch in der Bäckerei: «Heute kaufe ich ein nur ein kleines Brot. Dann muss ich morgen nicht so viel wegwerfen» teilt eine etwas korpulente Frau ihrer Begleitung mit. «Das muss ja auch nicht sein» antwortet diese. «Durch den schrecklichen Krieg in der Ukraine ist das Brot so teuer geworden». «Und wir müssen darunter leiden. So viel Ungerechtigkeit gibt es auf der Welt. Und der liebe Gott tut nichts. Da kann man schon mal den Glauben an ihn verlieren», meldet sich Erstere nochmals zu Wort.
Mir verschlägt es die Sprache. Was in aller Welt hat Gott damit zu tun?
In meiner Vorstellung ist Krieg, wie wir ihn derzeit nicht nur in der Ukraine erleben, eine von uns Menschen verursachte Katastrophe. Von Individuen, die Gott mit einem freien Willen und Verstand ausgestattet hat.
«UNSER tägliches Brot gib uns heute» bitten die Gläubigen jeden Tag und messen dem Wort am Beginn des Satzes keinerlei Bedeutung bei. Unendlich viele Menschen auf der Welt bekommen KEIN tägliches Brot, sind mangel- und unterernährt. Hunger und Entbehrung begleiten sie ein Leben lang.
Unzählige gemeinnützige Organisationen haben dem Hunger auf der Welt den Kampf angesagt. Weil Diktatoren, Autokraten und Warlords ihre eigenen Interessen über die Bedürfnisse der leidenden Bevölkerung stellen, stehen Sie oft auf verlorenem Posten. Deshalb benötigen sie die Hilfe von all denen, deren Brotkasten gut gefüllt ist.
Auch der KDFB Zweigverein Abenheim unterstützt die Aktion Solibrot von Misereor, die zurzeit bundesweit unter dem Motto: Backen. Teilen. Gutes tun, läuft.
In vielen Bäckereien werden zurzeit Solibrote mit einem Benefiz-Anteil verkauft, dessen Höhe frei wählbar ist.
«UNSER tägliches Brot gib uns heute»!
Dank der großartigen Solibrotaktion und jedem gespendeten Cent nimmt unsere Vision von «MEIN Brot, DEIN Brot, UNSER BROT» immer mehr Gestalt an.
Anne Michel, April 2022