Die Sonne scheint und ich genieße mit allen Sinnen die wundervolle Wärme, die sie spendet.
Wie bei einer Zwiebel entferne ich Schicht für Schicht die schützende Hülle meiner warmen Kleidung.
Ich sitze in meiner Lieblingsbar am Hafen des kleinen Ortes, irgendwo an der Costa Dorada.
Interessiert umherschauend nehme ich die besondere Atmosphäre dieser Bar auf. Der alte Spanier sitzt, wie immer, gleich am ersten Tisch.
Eine Gruppe von jungen Müttern haben Tische und Stühle mit allerlei Krimskram belegt. Sie halten ihre Kinder im Arm, essen, trinken, gestikulieren, lachen und unterhalten sich so laut, dass man die Gespräche auch noch drei Bars weiter locker mitverfolgen kann. Natürlich nur, wenn man in der Lage ist, dem maschinengewehrartigen Stakkato der Sätze zu folgen.
Der Deutsche sitzt auch wieder auf seinem gewohnten Platz. Traurig starrt er in sein halbvolles Rotweinglas. Seit seine Frau verstorben ist, füllt er seine einsamen Tage mit Barbesuchen.
El Patrone steht lässig im Türrahmen.
«Hola Señora alemana, ¿Como estás.¿Como siempre»? Ruft er mit dröhnender Stimme.
«Si, si senor, y Buenos dias» beantworte ich genauso laut seine Frage über viele Köpfe hinweg.
Die frechen Spatzen hüpfen auf dem Boden und auf den unaufgeräumten Tischen herum. Sie zetern und zanken sich um übriggebliebene Brotkrumen. Krümel gibt es hier im Überfluss.
Immer, wenn ich direkt von Deutschland aus zuerst hierherkomme, nehme ich wahr, dass die Farbe an dem Gebäude dringend aufgefrischt werden müsste, dass die Sitzflächen der Stühle rissig und die Tische reif für den Sperrmüll sind.
Die Volants der Markise sind dem rauen Wind zum Opfer gefallen und hängen in Fetzen in der Führung herab. Kurz und gut: Die Bar hätte eine Generalüberholung verdient.
Leise lache ich in mich hinein. Morgen werde ich das vernachlässigte Äußere der Bar nicht mehr bewusst zur Kenntnis nehmen. Dann bin ich wieder vollständig in die in Spanien übliche lockere Lebensart eingetaucht.
Es ist jedes Mal ein bisschen, wie heimkommen, denke ich. Hier, in dieser einfachen, um nicht zu sagen, schäbigen Bar, scheint die Zeit stillzustehen. Nichts verändert sich.
Ein verführerischer Duft von Kaffee weht in meine Nase.
Mit einem freundlichen: «Tu Café con leche», reißt mich die nette Bedienung aus meinen Gedanken.
«Muchas Gracias Maria», sage ich lächelnd und frage, ob sie in ihrer Heimat in den Anden war.
Sie antwortet lächelnd, dass das Geld für eine Reise nach Peru in diesem Jahr leider nicht gereicht hätte.
Ich merke, dass sie sich sehr über mein Interesse an ihr und ihrem Heimatland freut. Ich nehme aber auch eine kleine Traurigkeit bei ihr wahr. Sie hat bestimmt Heimweh, denke ich mir.
Es ist auch sehr schwer, wenn man so jung ganz auf sich allein gestellt, in einem fremden Land lebt.
Sie streicht mir liebevoll über den Arm und sagt:
«Vaya con Dios, querida alemana».
Beschwingt dreht sie sich um und ich sehe im letzten Augenblick ein kleines unscheinbares Kreuz an ihrer Halskette blitzen.
«Geh mit Gott», welch ein wunderbarer Abschiedsgruß, welch ein großartiges Geschenk sie mir damit gemacht hat.
Während ich schlürfend den Café Con leche mit allen Sinnen genieße, fange ich an zu überlegen:
«¿Siempre voy con Dios» GEHE ICH IMMER MIT GOTT?
Diese schwere Frage kann ich nicht abschließend beantworten.
Aber eines weiß ich ganz genau:
In diesem magischen Moment sitzt Gott hier mit mir am Tisch und ich fühle eine tiefe Dankbarkeit.
© Anne Michel 2021-07-07